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Die kulturelle Elite war es, die die ersten tschechischen Vereine in den 1860er Jahren ins Leben rief. In der 1865 gegründeten Slovanská Beseda (Slawisches Gespräch) wurde das Anliegen, ein unpolitisches und allgemein slawisches gesellschaftliches Zentrum zu schaffen, realisiert. Hier trafen sich Vertreter des böhmischen Adels, Mitglieder des Reichsrats und der Böhmischen Akademie der Wissenschaften sowie Angehörige des Klerus.
»Die teutsche Sprache ist die allgemeine ...«
Nach dem am 21. Dezember 1867 erlassenen Grundgesetz waren alle »Volksstämme« der Habsburger Monarchie formal gleichberechtigt und hatten damit ein Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Nationalität und Sprache.
Das Reichsgerichtserkenntnis vom 19. Oktober 1904 schrieb aber fest, dass der »tschechische Volksstamm« nicht als in Niederösterreich beheimatet angesehen werden kann. Die Gemeinde Wien war daher von der Verpflichtung, öffentliche Schulen mit tschechischer Unterrichtssprache zu errichten, befreit.
Damit sahen sich die tschechischen Zuwanderer allerdings einer paradoxen Rechtslage gegenüber. Die Voraussetzung, um als Volksstamm anerkannt zu werden, war die Sesshaftigkeit. Waren die Tschechen allerdings zehn Jahre in Wien wohnhaft und wollten das Bürgerrecht beantragen, mussten sie laut des Gemeindestatuts vom 24. März 1900 einen Eid leisten, den »deutschen Charakter« der Stadt aufrechtzuerhalten, was nicht nur die Gründung tschechischer Vereine, sondern bereits die Mitgliedschaft in einem tschechi-schen Verein ausschloss ...
Der sozialdemokratische Theoretiker Otto Bauer formulierte treffend:
»Solange die Massen der einwandernden Arbeiter noch bedürfnis- und anspruchslos waren, ein elendes Leben führten, das keine Abwechslung kannte als die schwere Arbeit und den Schlaf in den elenden Wohnungen im äußersten Umkreis der Stadt [...] solange der tschechische Arbeiter hübsch demütig und bescheiden den Herren aus der Stadt aus dem Weg ging [...] solange ließ sich die Gemeindeclique die tschechische Einwanderung wohl gefallen. Aber seither sind die breiten Massen [...] zu unerhörtem Selbstbewusstsein erwacht [...]. Sie fordern die Befriedigung ihrer kulturellen Bedürfnisse, vor allem Schulen für ihre Kinder.« (0tto Bauer, Die Nationalitätenfrage, 1924)