Projekt | Biografie und Migration

Biografie und Migration. Migrationsnarrative Wiener ZuwanderInnen

In der Auseinandersetzung mit dem Thema Migration kommt im wissenschaftlichen Diskurs ebenso wie in der öffentlichen Debatte sehr schnell die Frage nach der Identität ins Spiel. Wie kann das »Leben im Spagat« zwischen unterschiedlichen Kulturen und Erfahrungsräumen gelingen? Insbesondere in der öffentlichen Debatte liegt der Schwerpunkt oftmals bei den kulturellen Dimensionen von Differenzerfahrungen. Im Gegenzug bemühen sich insbesondere VertreterInnen postkolonialer Theorien darum, die Positionalität von Identitätskonstruktionen und deren Fragmentierungen in den Blickpunkt zu rücken. Die höhere Mobilität und die vereinfachten Kommunikationsmöglichkeiten trugen dazu bei, dass (Trans)Migranten Beziehungen zu mehreren Lebensorten aufrechterhalten können. Daraus entstehen hybride Kulturen, die die Idee der Gewissheit im Hinblick auf Zugehörigkeiten und der Identität in Frage stellen.

Vor dem Hintergrund dieser Debatten erscheint die Verbindung der Themenfelder Biografieforschung und Migrationsforschung insofern interessant, als die Frage nach den Identitätskonstruktionen in der Beschäftigung mit (auto-)biografisch-narrativen Zugangsweisen eine zentrale Rolle spielt, im Kontext von Migrationserfahrungen jedoch an zusätzlicher Bedeutung gewinnt. Aber nicht nur für Migrant:innen und Menschen mit Migrationshintergrund, die auf vielfältigen Ebenen Brüche und Diskontinuitäten in ihrer Biografie verarbeiten müssen, kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte hilfreich sein - die Biografiearbeit kann bei allen am Prozess Beteiligten zu neuen Einsichten führen. Man kann zwar von einer Renaissance der Erzähltheorie und einem Boom in der inter- und transdisziplinären Erzählforschung feststellen, aber der konstitutiven Bedeutung von Narrativen für Kulturen oder dem Verständnis von Kulturen als »Erzählgemeinschaften, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden«, hat die Narratologie bisher kaum Beachtung geschenkt.

Ziel des Projekts ist es daher, den Umgang mit (auto-)biografisch-narrativen Zugangsweisen in der Migrationsforschung und der interkulturellen Biografiearbeit zu reflektieren, wobei Theorie und Praxis miteinander verknüpft werden sollen. Die Frage ist: wie kann über den biografischen Zugang eine Annäherung an hybride Lebenswelten gelingen, ohne Re-Ethnisierungsprozessen oder der Kulturalisierung von sozialen Differenzen Vorschub zu leisten? Wie kann man im Rahmen biografisch-narrativer Zugangsweisen den Selbstdarstellungen/-verortungen in ihrer Prozesshaftigkeit und sozialen Positionierung gerecht werden? Inwieweit werden Migrationsbiografien insbesondere in medialen Kontexten zum Material / zum Objekt gemacht, auch wenn damit emanzipatorische bildungspolitische Ziele verfolgt werden? Welche Lernprozesse im Umgang mit sich verändernden Lebenswelten können mithilfe biografischer Zugänge initiiert werden?

Sachbearbeiterin: Regina Wonisch