Ausstellung | Die Architektur des Roten Wien

Zwischen Tradition und Moderne. Die Architektur des Roten Wien

Wien war Anziehungspunkt für Zu-wander:innen aus allen Teilen der Habs-burgermonarchie. Die Versorgung der Menschen mit dem nötigen Wohnraum war jedoch gänzlich dem privaten Markt überlassen; aufgrund von Bauspekula-tion und Profitmaximierung waren die Wohnverhältnisse katastrophal.



Das ambitionierte Wohnbauprogramm der sozialdemokratischen Stadtverwaltung zielte jedoch nicht nur auf die Verbesserung der Wohnverhältnisse im "Roten Wien", es war auch mit sozial- und bildungspolitischen Maßnahmen verbunden. Gemeinschaftseinrichtungen, Sportanlagen und Bäder sollten den gesellschaftlichen Zusammenhang fördern. Finanziert wurde das gigantische Wohnbauprojekt durch eine eigene Wohnbausteuer und die Besteuerung von Luxusgütern.

Die Gemeinde Wien beauftragte in der Ersten Republik neben dem Stadtbauamt fast 200 freischaffende Architekten unterschiedlicher Herkunft mit rund 380 Kommunal-wohnprojekten. Auffallend viele Architekten kamen aus dem Umfeld der Brünner Kunstgewerbeschule, die damals als Talenteschmiede galt. Den mehrgeschossigen Wohnblöcken wurde zwar der Vorzug gegenüber den Stadtrandsiedlungen gegeben, aber immer stand die gesunde und hygienische Bauweise im Zentrum. Die Innenhöfe der Anlagen sorgten für Licht, Luft und Bewegungsmöglichkeiten. Charakteristisch für die Wohnhöfe ist die expressive Gestik der architektonischen Gestaltung, die dem neu errungenen Selbstbewusstsein der Sozialdemokratie Ausdruck verleihen sollte. Die Architektur der kommunalen Wohnbauten wurde oftmals als stilistisch inkohä-rent und zu traditionsverbunden kritisiert, doch sie war mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientiert als die avantgardistische Bauweise der „Neuen Sachlichkeit“.

Walter Zedniceks Architekturfotografien, die in dieser Ausstellung vorrangig prä-sentiert werden, verdeutlichen ein-rucksvoll den Reichtum an unterschied-lichsten formalen Lösungen und Bau-typologien innerhalb der Gemeindebau-architektur in Wien und laden einmal mehr zu einem Revisiting dieser inter-national vielbeachteten Architektur-formen ein. Der Rückblick auf das historische "Rote Wien" illustriert die gesellschaftspolitischen Dimensionen des Wohnbauprojekts.

Ausstellungskuratorin: Regina Wonisch, Ausstellungsgestalter: Peter Karlhuber

Ausstellungsdauer: 9. September - 7. Oktober 2009

Walter Zednicek: Architektur des Roten Wien, Wien 2009; ISBN 978-3-9502544-2-6

„Zunächst ist die Wohnungsnot fast immer eine Folge der Wanderbewegung. In Bezug auf die Wanderbewegung ist nun Wien stärker betroffen worden als andere Länder und Städte der Donaumonarchie. Die Zuwanderung war sowohl bei Kriegsbeginn als auch nach Kriegsende eine sehr lebhafte. Bei Kriegsbeginn und während des Krieges führten die Katastrophen in den Grenzlanden der alten Monarchie zur Zuwanderung der Kriegsflüchtlinge. Nach dem Krieg bewirkte der Zerfall der Monarchie in sieben Nachfolgestaaten, die ein Teil unseres Wirtschaftskörpers waren, dass Tausende von Existenzen entwurzelt und zur Abwanderung genötigt wurden. Ganz anders vollzog und vollzieht sich noch heute die Abwanderung von Wien. Während die Abwanderung aus den Nationalstaaten nach Wien meist plötzlich unter dem Druck und Zwang der Verhältnisse erfolgte und immer die Beistellung von Wohnungen erforderte, ist durch die Abwanderung von Wien zunächst keine Wohnung nutzbar geworden.“

aus: Die Wohnungspolitik der Gemeinde Wien. Ein Überblick über die Tätigkeit der Stadt Wien seit dem Kriegsende zur Bekämpfung der Wohnungsnot und zur Hebung der Wohnkultur, Wien 1926